Therapie statt Strafe bei Suchtmitteldelikten - Vorläufiger Rücktritt von der Verfolgung
Der § 35 des österreichischen Suchtmittelgesetzes (SMG) regelt den vorläufigen Rücktritt von der Verfolgung durch die Staatsanwaltschaft bei bestimmten Suchtmitteldelikten. Diese Bestimmung zielt darauf ab, eine alternative Handhabung von geringfügigen Suchtmittelvergehen zu ermöglichen, insbesondere wenn diese ausschließlich zum persönlichen Gebrauch oder zum persönlichen Gebrauch eines anderen begangen wurden und der Beschuldigte daraus keinen Vorteil gezogen hat.
Voraussetzungen für den vorläufigen Rücktritt
Gemäß § 35 Abs. 1 SMG hat die Staatsanwaltschaft unter bestimmten Voraussetzungen und Bedingungen von der Verfolgung einer Straftat nach § 27 Abs. 1 oder 2 oder § 30 SMG vorläufig zurückzutreten. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Tat ausschließlich für den eigenen persönlichen Gebrauch oder den persönlichen Gebrauch eines anderen begangen wurde, ohne dass der Beschuldigte daraus einen Vorteil gezogen hat. Die Probezeit beträgt dabei ein bis zwei Jahre.
Zitat: “Die Staatsanwaltschaft hat unter den in den Abs. 3 bis 7 genannten Voraussetzungen und Bedingungen von der Verfolgung einer Straftat nach den §§ 27 Abs. 1 oder 2 oder § 30, die ausschließlich für den eigenen persönlichen Gebrauch oder den persönlichen Gebrauch eines anderen begangen worden ist, ohne dass der Beschuldigte daraus einen Vorteil gezogen hat, unter Bestimmung einer Probezeit von einem Jahr bis zu zwei Jahren vorläufig zurückzutreten.” [Quelle: § 35 SMG]
Erweiterte Anwendungsmöglichkeiten
§ 35 Abs. 2 SMG erweitert die Möglichkeit des vorläufigen Rücktritts auch auf andere Straftaten nach §§ 27 bis 31a sowie §§ 28 und 28a SMG, sofern der Beschuldigte an Suchtmittel gewöhnt ist oder die Straftat im Zusammenhang mit der Beschaffung von Suchtmitteln steht. Hierbei müssen jedoch zusätzliche Bedingungen erfüllt sein:
– Die Straftat darf nicht in die Zuständigkeit des Schöffen- oder Geschworenengerichts fallen.
– Die Schuld des Beschuldigten darf nicht als schwer anzusehen sein.
– Der Rücktritt muss geeignet erscheinen, den Beschuldigten von weiteren Straftaten abzuhalten.
Zitat: “Die Staatsanwaltschaft hat unter den Voraussetzungen und Bedingungen der Abs. 3 bis 7 auch von der Verfolgung einer anderen Straftat nach den §§ 27 oder §§ 30 bis §§ 31a, einer Straftat nach den §§ 28 oder §§ 28a, sofern der Beschuldigte an Suchtmittel gewöhnt ist, oder einer im Zusammenhang mit der Beschaffung von Suchtmitteln begangenen Straftat unter Bestimmung einer Probezeit von einem Jahr bis zu zwei Jahren vorläufig zurückzutreten.” [Quelle: § 35 SMG]
Einholung ärztlicher Stellungnahmen
Ein wesentlicher Bestandteil des Verfahrens nach § 35 SMG ist die Einholung einer Stellungnahme einer geeigneten ärztlichen Einrichtung der Justiz oder der Bezirksverwaltungsbehörde als Gesundheitsbehörde darüber, ob der Beschuldigte einer gesundheitsbezogenen Maßnahme gemäß § 11 Abs. 2 bedarf.
Zitat: “Eine Stellungnahme einer geeigneten ärztlichen Einrichtung der Justiz oder, sofern diese nicht zur Verfügung steht, der Bezirksverwaltungsbehörde als Gesundheitsbehörde darüber eingeholt worden sind, ob der Beschuldigte einer gesundheitsbezogenen Maßnahme gemäß §11 Abs.2 bedarf.” [Quelle: § 35 SMG]
Ausnahmen und besondere Regelungen
Die Staatsanwaltschaft kann von dieser Einholung absehen, wenn es sich um bestimmte geringfügige Delikte handelt (z.B., Erwerb kleiner Mengen Cannabis zum Eigengebrauch). Eine Stellungnahme ist jedoch einzuholen, wenn gegen den Beschuldigten innerhalb der letzten fünf Jahre bereits ein Ermittlungsverfahren wegen ähnlicher Delikte geführt wurde.
Zitat: “Die Staatsanwaltschaft hat von der Einholung einer Stellungnahme gemäß Abs.3 Z2 abzusehen, wenn der Beschuldigte ausschließlich deshalb verfolgt wird […] Eine Stellungnahme ist jedoch einzuholen, wenn gegen den Beschuldigten innerhalb der letzten fünf Jahre vor diesem Strafverfahren bereits ein Ermittlungsverfahren wegen einer Straftat nach den §§27 bis §§31a geführt wurde.” [Quelle: §35 SMG]
Durchführung und Überwachung
Die Durchführung des vorläufigen Rücktritts wird durch verschiedene Maßnahmen überwacht:
– Ärztliche Überwachung des Gesundheitszustands.
– Verpflichtung zur Erfüllung bestimmter Pflichten während der Probezeit.
– Betreuung durch einen Bewährungshelfer.
Zitat: “Der vorläufige Rücktritt von der Verfolgung kann […] davon abhängig gemacht werden, dass sich der Beschuldigte […] bereit erklärt, sich durch einen Bewährungshelfer betreuen zu lassen.” [Quelle: §35 SMG]
Mitteilungspflichten und Rechtsfolgen
Die Staatsanwaltschaft muss dem Beschuldigten mitteilen, dass das Strafverfahren unter festgesetzten Bedingungen für eine Probezeit vorläufig unterbleibt und ihn entsprechend belehren. Die Verständigung über den vorläufigen Rücktritt ist dem Beschuldigten zu eigenen Handen zuzustellen.
Zitat: “Die Staatsanwaltschaft hat dem Beschuldigten mitzuteilen […] Vom Rücktritt von der Verfolgung ist […] auch diese unverzüglich zu verständigen.” [Quelle: §35 SMG]
Nachträgliche Fortsetzung des Strafverfahrens
Das Strafverfahren kann fortgesetzt werden, wenn während der Probezeit neue Delikte begangen werden oder sich herausstellt, dass sich der Beschuldigte nicht an die Auflagen hält.
Zitat: “Das Strafverfahren ist fortzusetzen […] wenn gegen den Angeklagten wegen einer weiteren Straftat nach diesem Bundesgesetz […] ein Strafantrag gestellt wird.” [Quelle: §38 SMG]
Fazit
§35 SMG bietet eine flexible Handhabung geringfügiger Suchtmitteldelikte durch die Möglichkeit eines vorläufigen Rücktritts von der Verfolgung unter bestimmten Bedingungen und Auflagen. Dies ermöglicht eine differenzierte Reaktion auf Drogenkonsumdelikte und fördert gleichzeitig gesundheitliche Maßnahmen zur Rehabilitation des Betroffenen.