
Die Verhängung der Untersuchungshaft
Einführung und rechtliche Grundlagen
Die Untersuchungshaft, ist im österreichischen Strafrecht ein Mittel zur Sicherung des Strafverfahrens, das in den §§ 170 ff. StPO geregelt ist. § 173 StPO ist die zentrale Norm, die die Zulässigkeit der Haft festlegt. Sie dient nicht der Bestrafung, sondern der Verhinderung von Flucht, Verdunkelung oder weiteren Straftaten und unterliegt dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (§ 5 StPO).
Voraussetzungen nach § 173 StPO
Gemäß § 173 Abs. 1 StPO sind folgende Voraussetzungen für die Verhängung und Fortsetzung der Untersuchungshaft erforderlich:
Antrag der Staatsanwaltschaft: Die Untersuchungshaft kann nur auf Antrag der Staatsanwaltschaft verhängt werden, und das Gericht entscheidet eigenständig, ist jedoch an diesen Antrag gebunden.
Dringender Tatverdacht: Der Beschuldigte muss einer bestimmten Straftat dringend verdächtig sein, basierend auf konkreten Beweisen.
Vernehmung durch das Gericht: Vor der Anordnung muss das Gericht den Beschuldigten zur Sache und zu den Haftvoraussetzungen vernehmen (§ 174 StPO).
Vorliegen eines Haftgrundes: Einer der in § 173 Abs. 2 StPO genannten Haftgründe muss gegeben sein:
Fluchtgefahr (§ 173 Abs. 2 Z 1): Besteht aufgrund bestimmter Tatsachen die Gefahr, dass der Beschuldigte flieht oder sich verborgen hält, etwa wegen der drohenden Strafe oder fehlender Bindungen an Österreich. Abs. 3 schränkt dies ein: Fluchtgefahr ist nicht anzunehmen, wenn die Tat mit maximal fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht ist, der Beschuldigte geordnete Lebensverhältnisse und einen festen Wohnsitz im Inland hat und keine Fluchtvorbereitungen erkennbar sind.
Verdunkelungsgefahr (§ 173 Abs. 2 Z 2): Liegt die Gefahr vor, dass der Beschuldigte Zeugen beeinflusst, Beweise vernichtet oder die Ermittlungen erschwert.
Tatbegehungsgefahr (§ 173 Abs. 2 Z 3): Besteht die Gefahr, dass der Beschuldigte eine weitere Straftat begeht oder eine begonnene Tat fortsetzt, insbesondere bei Straftaten mit mehr als sechs Monaten Freiheitsstrafe oder bei Gewalt- und Suchtmitteldelikten.
Verhältnismäßigkeit: Die Untersuchungshaft darf nicht angeordnet werden, wenn sie zur Bedeutung der Sache oder zur zu erwartenden Strafe außer Verhältnis steht (§ 173 Abs. 1 zweiter Satz). Ebenso ist sie unzulässig, wenn ihr Zweck durch gelindere Mittel erreicht werden kann (§ 173 Abs. 5).
Gelindere Mittel (§ 173 Abs. 5)
Statt der Untersuchungshaft sind gelindere Mittel anzuwenden, wenn diese den Haftzweck ebenso effektiv erfüllen. Beispiele sind:
Das Gelöbnis, nicht zu fliehen oder sich zu verbergen (§ 173 Abs. 5 Z 1).
Das Gelöbnis, die Ermittlungen nicht zu erschweren (§ 173 Abs. 5 Z 2).
Kontaktverbote oder Betretungsverbote bei Gewalt in Wohnungen (§ 173 Abs. 5 Z 3).
Kaution (§ 180 StPO) oder die Abgabe von Identitätsnachweisen.
Besondere Regelung bei schweren Verbrechen
Nach § 173 Abs. 6 StPO (in der bis 2023 geltenden Fassung, aufgehoben durch VfGH, BGBl. I Nr. 1/2023) musste bei Verbrechen mit einer Mindeststrafe von zehn Jahren Freiheitsstrafe die Untersuchungshaft grundsätzlich verhängt werden, es sei denn, alle Haftgründe konnten ausgeschlossen werden. Diese Regelung wurde jedoch aufgehoben, sodass nun auch hier die Verhältnismäßigkeit und die Möglichkeit gelinderer Mittel geprüft werden müssen.
Verfahren und zeitliche Grenzen
Verhängung: Nach § 174 StPO muss ein festgenommener Beschuldigter binnen 48 Stunden nach Einlieferung in die Justizanstalt vom Gericht vernommen und eine Entscheidung getroffen werden.
Haftfristen: § 175 StPO regelt die Prüfung der Haftfortsetzung in regelmäßigen Abständen. Die Höchstdauer ist in § 178 StPO festgelegt: bei Verdunkelungsgefahr maximal zwei Monate, bei Vergehen sechs Monate, bei Verbrechen ein Jahr, bei schweren Verbrechen (über fünf Jahre Freiheitsstrafe) zwei Jahre, sofern die Hauptverhandlung nicht begonnen hat.
Aufhebung: Nach § 177 StPO ist die Haft aufzuheben, wenn die Voraussetzungen wegfallen oder die Dauer unverhältnismäßig wird.
Verhältnis zu Strafhaft
173 Abs. 4 StPO bestimmt, dass die Untersuchungshaft nicht verhängt werden darf, wenn ihre Zwecke durch gleichzeitige Strafhaft erreicht werden können. Wird sie dennoch verhängt, unterbricht sie den Strafvollzug.
Zusammenfassung und Relevante Paragraphen
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Untersuchungshaft im österreichischen Strafrecht an strenge Voraussetzungen geknüpft ist, die in § 173 StPO zentral geregelt sind. Sie erfordert einen dringenden Tatverdacht, einen Haftgrund, eine gerichtliche Vernehmung und die Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Gelindere Mittel haben Vorrang, und die Dauer ist begrenzt, um unverhältnismäßige Freiheitsentziehungen zu vermeiden. Weitere relevante Paragraphen wie §§ 174, 175, 177, 178 und 180 StPO ergänzen das Verfahren und gewährleisten den Schutz der Beschuldigtenrechte.